Blassgrün schimmert das Gras auf den Klippen hoch über dem Ärmelkanal. Unten leuchtet ein breiter Sandstrand, dessen helles Beige sich in den Gräsern und unzähligen Bänderschnecken an den Halmen widerspiegelt. Die Ebbe legt ein weites Watt frei, das am Horizont mit dem stahlblauen Himmel verschwimmt. Ich nehme dich mit an den 100 km langen Küstenstreifen der Normandie, an dem sich die fünf Landungsstrände der Alliierten wie Perlen auf einer Schnur aufreihen. Außerdem zeige ich dir, was dir die Region, neben lebendiger Geschichte, noch zu bieten hat!
Lohnt sich ein Besuch der Landungsstrände in Frankreich?





Wir schreiben den 6. Juni 1944: D-Day! Die lange geplante Operation Overlord findet heute ihren Anfang. Im Feuerschutz von mehr als 1.200 Kriegsschiffen und 7.500 Flugzeugen landen rund 155.000 alliierte Soldaten an den Stränden der Normandie – am Utah, Omaha, Gold, Juno und Sword Beach. Sie läuten das Ende des Zweiten Weltkriegs ein. Dieses Ereignis wird als die größte Militäroperation aller Zeiten in die Geschichtsbücher eingehen.
Da das Wetter am Ärmelkanal gern etwas wechselhaft ist und der Erfolg der Alliierten stark von den Wetterverhältnissen abhing, war die Vorhersage für den D-Day wohl die wichtigste Wetterprognose der Weltgeschichte. Aufgrund des aufgewühlten Meeres und der schlechten Sicht verloren in den ersten Stunden der Landung bereits zahlreiche Soldaten ihr Leben. Glücklicherweise klarte der Himmel gegen Mittag wie prognostiziert auf und bescherte der Operation doch noch den ersehnten Erfolg.
Bei meinem Besuch ist mir das Wetter gnädiger gestimmt. Im gleißenden Sonnenlicht liegt das Meer wie ein Spiegel vor mir und bietet einen weiten, freien Blick bis zum Horizont. Und dennoch fühle ich mich ein wenig beklommen. Überall erinnern Denkmäler und Museen an die Geschichte dieses Ortes, der man nicht entfliehen kann. Bei genauem Hinsehen versprüht die gesamte Region jedoch mehr Patriotismus als Bedrückung, und schnell blicke auch ich mit Dankbarkeit und Bewunderung auf diesen wunderbaren Küstenabschnitt. Denn nicht nur aus geschichtlicher Sicht haben die Landungsstrände einiges zu bieten. Auch landschaftlich und kulinarisch ist die Normandie eine Region mit vielen Reizen!
Fototipp: Bei klarem Wetter kann man von den Klippen aus tolle Panoramaaufnahmen schießen. Eindrucksvoll sind auch Nahaufnahmen der ehemaligen Kriegsmaschinerie.
Anreise in die Normandie
| Lage: | Nordfrankreich |
| Highlight: | Mulberry-Hafen |
| Must-Do: | Austern essen |
| Beste Reisezeit: | Frühsommer |
| Sport: | Radfahren, Strandsegeln |
Mit dem Auto gelangt man von Deutschland kommend über ein gut ausgebautes Straßennetz in die Normandie. Während auf den Autobahnen häufig Maut gezahlt werden muss, sind die Landstraßen mautfrei und bieten damit eine gute Alternative.
Die Bahn bietet zahlreiche Verbindungen über Paris nach Le Havre, Caen und die umliegenden Städte. Und auch mit dem Flixbus ist eine Anreise aus Deutschland möglich.
Wenn du passionierter Radfahrer bist, solltest du dein Rad auf keinen Fall zu Hause lassen, denn die Normandie ist geradezu perfekt für ausgedehnte Radtouren.
Gold Beach: Am legendären Mulberry-Hafen
Wie achtlos hingeworfene Trümmer wirken die tonnenschweren Betonblöcke weit draußen im Meer. Von den Klippen im Westen von Arromanches-les-Bains aus sehen sie aus wie Felsen, die gern von den Möwen als Rastplatz genutzt werden. Tatsächlich sind dies die Überreste des Mulberry-Hafens, den die Alliierten damals innerhalb von nur 8 Tagen errichteten. Die provisorischen Landungsbrücken waren eine technische Meisterleistung, die es ermöglichte, 400.000 Soldaten, 4 Mio. Tonnen Material und 500.000 Militärfahrzeuge an Land zu bringen.
Am Strand von Arromanches reichen die riesigen Betonteile bis ans Land, sodass man um sie herumgehen, sie berühren, ja sogar in ihr Innerstes blicken kann. Als ich vor den algenbewachsenen Trümmern stehe, versuche ich mir vorzustellen, wie es wohl war, unter Einsatz des Lebens und bei widrigen Bedingungen in rasender Eile diesen künstlichen Hafen anzulegen.
Fast kann ich die Anstrengung, aber auch die Angst der Männer spüren. Die Sonne besänftigt meine Gefühle. Im hellen Licht wirken die schweren Klötze wie Kunstwerke. Die grünen Algen bilden eine Einheit mit dem verwitterten Beton und den rostroten Stahlträgern. Beinahe natürlich kommt es mir vor, so als könnte der Ort ohne diese Skulpturen nicht existieren, würde seine Identität verlieren.
All die großen Gefühle verschwinden schnell, sobald ich die Hafenstraße betrete. Zwar wird auch hier an die Geschichte gemahnt, jedoch sind die Straßenzüge gesäumt von schrillen Souvenirläden. Neben Taschen, T-Shirts, Tassen und Badeschuhen kann man sich kulinarisch ganz auf die Alliierten einstimmen und turmhohe Burger oder riesige Softeis-Tüten erwerben.
Weiter hinten, in den Nebenstraßen und kleinen Gassen, wird es ruhiger. Die Laternen tragen Bilder gefallener junger Soldaten, und die Häuser britische, amerikanische oder kanadische Flaggen, die eine ganz eigenwillige Atmosphäre schaffen. Fast vergesse ich, dass ich in Frankreich bin.
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Utah Beach: Natur zwischen Dünen und Wattenmeer
Die kleinen Dörfer und Städte der Region sind fast ausschließlich aus hellem Naturstein gebaut. Diese pastellfarbene Welt wird jedoch immer wieder von leuchtenden Farbtupfern unterbrochen. Zum einen stammen diese von den zahllosen Fahnen, zum anderen sind es Blumen, die die Straßen, Parks und Plätze schmücken.
Wie auch im übrigen Frankreich, legt man in der Normandie Wert auf Ästhetik und Schönheit. Liebevoll wird jeder freie Winkel bepflanzt und dankt es mit einer üppigen Blütenpracht. Das wechselhafte, feuchte Klima hat eben auch seine positiven Seiten. So wachsen die Hortensien mannshoch und Lilien blühen in allen erdenklichen Farben und Formen.
Der westliche Utah Beach ist lang und weit und unverbaut. Hier geht es ruhig zu. Neben einigen kleinen Denkmälern und Museen wirkt dieser Abschnitt naturbelassen und wild. Im breiten Dünenstreifen vor der Küste verbergen sich unscheinbare Bunker zwischen den, von zahllosen Schnecken bevölkerten, Grashalmen.
Kilometerweit kann man hier am Strand entlanglaufen. Die Ebbe legt das Watt über hunderte Meter frei. Die Gezeitenunterschiede in der Normandie gehören zu den größten der Welt. Das macht die Strände am Ärmelkanal zu einem ausgezeichneten Revier für Strandsegler, die mit ihren Segelfahrzeugen Geschwindigkeiten um die 100 km/h erreichen. Auch für Touristen werden Segelkurse angeboten.
Bei Ausflügen ins Watt solltest du dir der Gefahren aber stets bewusst sein. Die Einheimischen sagen, die Flut kommt wie ein galoppierendes Pferd. Die Entfernungen sollte man angesichts dessen im Wattenmeer der Normandie nie unterschätzen.
Austern, die Delikatessen aus dem Meer
Was bei Flut unter der Meeresoberfläche verborgen ist, kommt bei Ebbe eindrucksvoll zu Tage. Auf kleinen Stahlfüßen stehen Holzgestelle mit grün überwachsenen Netzen im Meeresboden. Beim Näherkommen sehe ich die Austern darin. Das müssen Millionen sein! Austern wachsen langsam, und so bleiben sie über Jahre im nährstoffreichen Wasser, bis sie schließlich „reif“ für den Verkauf sind.
Bei Ebbe herrscht stets reger Betrieb. Sobald sich das Wasser zurückzieht, fahren die Farmer mit ihren Traktoren in die Austernbänke, um zu kontrollieren, zu ernten oder kaputte Bänke zu reparieren. Die Tageszeit spielt hier keine Rolle. Der Mensch passt sich der Natur an und schaltet nachts einfach die riesigen Scheinwerfer an.
Die Normandie ist die bedeutendste Austernzuchtregion Frankreichs. Bereits seit dem 17. Jahrhundert werden hier die natürlichen Austernbänke bewirtschaftet, seit 1880 wird Zucht betrieben. Auch hier sind die Muscheln eine Delikatesse, jedoch kein Luxus.
Austern in der Normandie sind für jedermann erschwinglich und gehören ganz selbstverständlich auf den Speiseplan. Dies solltest du unbedingt nutzen! Nicht nur im Restaurant kann man hier Austern bestellen, man kann sie auch ganz einfach frisch auf dem Markt oder direkt beim Farmer kaufen.
Im Westen des Utah Beach bietet sich dazu das Gewerbegebiet vor Saint-Vaast-la-Hougue an. Mehrere Farmer haben hier ihre Lagerhallen mit offenem Verkauf. Scheue dich nicht, einfach anzuhalten und in die Halle zu spazieren. Hier geht man eher pragmatisch vor, weshalb es keinen besonderen Verkaufsraum gibt.
In der Lagerhalle findet man zu den Öffnungszeiten jederzeit Mitarbeiter, die die Austern für den Versand verpacken. Diese sind gern bereit, die gewünschte Menge individuell abzupacken. Ich zahle für 7 Austern 4 Euro.
Du musst also keine Angst vor einem Preisschock haben. Dazu noch eine Flasche normannischen Cidre, frische Zitrone, ein Baguette und zum Nachtisch farbenfrohe Macarons – und fertig ist der perfekte Sundowner am Strand!
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Fazit
Die Landungsstrände der Normandie wirken wie ein eigener Mikrokosmos. Geschichtsinteressierte kommen hier voll auf ihre Kosten, können Museen und Denkmäler besuchen, alte Bunker entdecken und die Geschichte hautnah begreifen. Die Alliierten ließen nicht nur den Frieden zurück, sondern auch einen Teil ihrer Kultur, weshalb man sich mancherorts in Amerika oder Kanada wähnt. Dennoch versprühen die zahlreichen „petites cités de caractère“ (ein Gütesiegel für Dörfer und Städte) auch in der Normandie ihren typisch französischen Liebreiz und bestechen mit ihren historischen Stadtkernen, den urigen Natursteinhäusern, liebevoll geschmückten Straßen und ihrem unvergleichlichen Charme.
Dabei ist alles eingebettet in eine wundervolle Natur, mit saftigen Wiesen, steilen Klippen, langen Stränden und einer vielfältigen Flora und Fauna. Auch kulinarisch ist man hier gänzlich in Frankreich angekommen und kann seinen Gaumen mit dem berühmten Apfelschaumwein, frischen Austern, würzigem Käse, ofenwarmen Baguettes und den verschiedensten Süßigkeiten verwöhnen. „Vivre comme Dieu en France!“
Nur einen Katzensprung entfernt befindet sich der Klosterberg Mont Saint-Michel, der zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Einmal in der Region solltest du dieser Top-Sehenswürdigkeit ebenfalls einen Besuch abstatten. Und wenn du, anstatt über Straße und Brücke, etwas abseits den kleinen Spazierweg über die Schafweiden nimmst, entfliehst du nicht nur den Touristenströmen, sondern erlebst die Abtei auch aus einer völlig anderen, wunderbar friedlichen Perspektive.
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